«Wir regeln Ampère für Ampère»

Mit der aufkommenden Elektromobilität kommen neue grosse Verbraucher ins Haus. Das stellt die Planer vor Herausforderungen.

Ronny Kleinhans, Leiter Marketing und Verkauf, Invisia AG

«intelligent bauen»: Die Invisia AG wurde 2015 gegründet. Mit welcher Mission?
Ronny Kleinhans: Unsere Idee war es, ein Unternehmen im Bereich von Energie und Nachhaltigkeit zu gründen. Impulsgeber dafür war Inhaber Georg Diener. Ich kam als erster Mitarbeiter hinzu. Nachdem ich in der Geschäftsleitung einer grossen Unternehmung im Bereich Lichttechnik tätig war, hatte ich Lust, die Entwicklung einer Unternehmung von Grund auf zu begleiten.

Ein Unternehmen im Bereich von Energie und Nachhaltigkeit: Das klingt wenig konkret.
Wir starteten 2015 tatsächlich nicht mit einem fixfertigen Angebot und fixfertigen Lösungen. Wir fingen mit einem relativ grossen Bauchladen von Ideen und Angeboten an, den wir zunächst sogar noch erweiterten, um die Potenziale im realen Markt zu evaluieren. Nach ein paar Monaten machten wir uns schliesslich daran, uns auf jene Aspekte zu fokussieren, in denen wir die grössten Zukunftspotenziale sowie unsere grössten Stärken sahen: Das waren und sind die Bereiche Energiemanagement und Lademanagement für Elektroautos, mit denen wir heute rund 80 Prozent unseres Umsatzes realisieren. Abgerundet wird unser Angebot durch die Hausautomatisierung. Diese Dienstleistungen erbringen wir im B-to- B-Bereich, sprechen also eine professionelle Kundschaft an.

Was ist Invisia genau: Ein Beratungsunternehmen? Eine Erfinderbude? Ein Tech-Unternehmen?
Wir sind all das. Im Kern sind wir Hersteller einer Technologie. Im Vordergrund steht dabei die Software. Wir stellen aber in Zusammenarbeit mit namhaften Partnern auch ein fertiges Produkt her, das Elektriker bei uns beziehen und mit etwas Engineering-Support unsererseits einbauen und installieren können. Wir verfügen über hohe Affinität und ausgeprägte Kompetenzen in IT, Softwareentwicklung sowie Elektrotechnik, die bei unserer Entwicklungstätigkeit ideal zusammenspielen.

Wie entwickelt sich der Markt, in dem Sie tätig sind?
Wenn wir von unseren zwei Hauptbereichen, Elektromobilität und Energiemanagement, ausgehen, dann bewegen wir uns in einem klar wachsenden Markt. Die Themen liegen auf dem Tisch, die Bedürfnisse manifestieren sich je länger, desto klarer. Trotzdem sprechen wir nach wie vor von einem Zukunftsmarkt. Das Verständnis für spezifische Herausforderungen und Lösungen ist noch wenig ausgeprägt. Das wird sich aber im Zuge der Energiewende und der weiteren Etablierung von Elektroautos ändern.

Wie schnell wird sich das ändern?
Gerade im Bereich der Elektromobilität wird sich die Situation bereits in den nächsten zwei Jahren markant verändern. Gibt es heute schätzungsweise 30 reine Elektroautos auf dem Markt, werden es bis Ende 2020 voraussichtlich 300 Modelle in allen Sparten und Preisklassen sein. Und der Druck der Politik sowie der Druck der Importeure wird dafür sorgen, dass diese Autos auch wirklich verkauft werden. Man geht heute davon aus, dass Ende 2020 10 Prozent der neu immatrikulierten Fahrzeuge rein elektrisch betrieben werden, also jährlich gegen 40 000 Elektroautos neu eingelöst werden. Die damit zusammenhängenden Herausforderungen und Bedürfnisse wachsen im Gleichschritt.

Bereits heute zeigen sich gewisse Probleme im Zusammenhang mit Auto-Ladestationen beispielsweise bei Mehrfamilienhaus- Neubauten. In Gesprächen mit Projektleitern hört man immer wieder, es seien ursprünglich mehr Ladestationen in den Tiefgaragen vorgesehen gewesen, aus Kapazitätsgründen habe man diese aber reduziert oder gar gestrichen. Wo setzen Sie hier an?
Das ist eine Situation, wie sie häufig auftritt. Deshalb fangen wir in aller Regel damit an, den Elektroplanern oder auch den Investoren und deren Vertretern zu erklären, dass die heute in den Häusern verfügbare Kapazität durchaus ausreicht, um nebst dem üblichen Hausbedarf eine grössere Anzahl von Ladestationen zu betreiben, als dies die Planer annehmen.

Wie das?
Die Planer gehen heute in der Regel so vor, dass Sie vom verfügbaren Energieeingang am Hausanschluss den Anteil für den normalen Betrieb des Gebäudes abziehen und die Restmenge durch die Anzahl Ladestationen teilen, die sie gerne einbauen würden. Mit dem Ergebnis, dass die Kapazität nur noch für zwei, vielleicht drei Ladestationen reicht, wie man sie heute in Tiefgaragen häufig antrifft. Um den tatsächlichen Anforderungen gerecht zu werden, muss man allerdings den Schritt vom rein rechnerischen zu einem ganz praktischen Ansatz machen.

Wie sieht der aus?
Entscheidend ist, dass Elektroautos im normalen Betrieb praktisch nie von 0 auf 100 Prozent aufgeladen werden. Man lädt nicht jedes Mal die gesamte Batterie auf, sondern jeweils vielleicht 10 bis 20 Prozent. Das korrespondiert auch mit der Erhebung, dass in der heutigen Nutzung die meisten Autos im Schnitt nur zwischen 25 und 30 Kilometer pro Tag zurücklegen.

Die Planer rechnen heute also mit einem grösseren Kapazitätsbedarf für Elektroautos, als diese im alltäglichen Betrieb wirklich haben – und reduzieren als Konsequenz daraus die Anzahl der Ladestationen?
Genau. In der Regel haben wir im Haus aber genug Energie, um weitere Ladestationen zu betreiben – vorausgesetzt, deren Einsatz intelligent gemanagt wird. Hier setzt unsere Technologie an. Wir betrachten damit vollautomatisch und volldynamisch die gesamte Energiesituation im Haus. Die Energie, die das Gebäude nicht für dessen Betrieb braucht, wird den Autoladestationen zugeführt. Die Autos werden also aufgeladen, wann immer dafür Energie zur Verfügung steht. Das geschieht zeitlich gestaffelt, je nachdem, welche Priorisierungsstufe der jeweilige Nutzer über unsere Smartphone-Applikation anwählt. Dieses Energiemanagement führt zu einer Glättung von Spitzen, wodurch mit derselben Kapazität ein deutlich höherer praktischer Bedarf gedeckt werden kann, als dies rein rechnerisch möglich scheint.

Solche Lademanagement-Lösungen sind im Markt nicht ganz neu. Wie differenzieren Sie sich?
Während andere Systeme die verfügbare Strommenge einfach auf die Anzahl der angehängten Elektroautos aufteilen, funktioniert unsere Lösung volldynamisch. Das heisst: Unser System regelt Ampère für Ampère so, dass die praktischen Bedürfnisse im Haus effizient abgedeckt werden können.

Wie reagieren Ihre Kunden, wenn Sie Ihren Ansatz erklären?
Die Elektroplaner und Elektriker sind in ihrer Praxis immer wieder mit den Herausforderungen der Ladestationen konfrontiert. Entsprechend sind sie froh, wenn wir ihnen eine Lösung aufzeigen, die sie flexibel nach den individuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen ihrer Kundschaft umsetzen können. Demgegenüber gibt es bei den Investoren, Immobilienunternehmungen und/oder grösseren Liegenschaftsverwaltungen innovativere und abwartende Player. Es zeigt sich, dass der Druck in vielen Fällen noch nicht so gross ist, um der Käufer- oder Mieterschaft innovative und zukunftsgerichtete Lösungen anzubieten. Dieser Druck wird aber allen Vorzeichen zufolge zunehmen. Und so wird es gerade auch für zurückhaltende Investoren wichtiger, schon heute ein Konzept in Betracht zu ziehen, das auch in Zukunft zuverlässig funktioniert und modular angepasst oder erweitert werden kann.

Ihr System ist bei steigendem Bedarf beliebig erweiterbar?
Genau. Unsere Cubes sind weitreichend ausgestattet, sodass wir sie nur in komplexen Projekten noch mit Einschüben ergänzen müssen. Hardwareseitig legen wir also eine Basis, auf der fast beliebig aufgebaut werden kann. Softwareseitig ist die Situation etwas komplexer, aber auch sie kann problemlos auf allfällig neue Bedürfnisse ausgerichtet werden.

Gerade Bewirtschafter scheuen manchmal vor der aufwendigen Abrechnung bei Ladestationen zurück. Wie lösen Sie diese Aufgabe?
Ganz einfach: Unser System ermöglicht die Verrechnung der individuellen Kosten direkt über ein Elektrizitätswerk. Sie erfolgt also in der heute bekannten Art, bloss dass auf der Stromabrechnung eine zusätzliche Zeile für den E-Parkplatz aufgeführt wird.

Kommen Sie überhaupt direkt an die Investoren ran, um ihnen diese Möglichkeiten zu erklären?
Den besten Draht haben wir sicher zu Elektroplanern, Elektrikern sowie zu den Energieversorgern. In schätzungsweise neun von zehn Fällen wird ein Investor oder seine Liegenschaftsverwaltung einen von ihnen kontaktieren, wenn das Thema Ladestationen auf den Tisch kommt. Und diese kommen dann auf uns zu.

Sie sind nun seit drei Jahren auf dem Markt. Welche Referenzen können Sie vorweisen?
Wir konnten im Bereich Lademanagement bereits rund 20 grössere Anlagen sowie zahlreiche kleinere Anlagen aufbauen. Im Energiemanagement von Gesamtgebäuden bis hin zu Eigennutzergemeinschaften kommt eine etwas kleinere Anzahl hinzu. Unsere Lösung ist also mehrfach praxiserprobt.

Bei jungen Anbietern stellt sich bisweilen die Frage nach der langfristigen Gewährleistung. Wie reagieren Sie darauf?
Für die langfristige Zuverlässigkeit sind zwei Faktoren zentral: Erstens, dass wir als Unternehmung solide aufgestellt und finanziert sind. Das ist der Fall. Zweitens, dass wir mit bewährten Partnern zusammenarbeiten. Bei uns stammen viele Komponenten von Phoenix Contact, einem Weltkonzern mit entsprechender Gewährleistung. Ein weiterer namhafter Lieferant ist wallbe, von dem wir die Ladestationen beziehen. Wir sind also gut aufgestellt und bestens vernetzt mit soliden Partnern.

Arbeiten Sie bei Ihrer Entwicklertätigkeit mit den Hardware-Lieferanten zusammen?
Ja. Wir dürfen auf gute und auch spannende Partnerschaften zählen, die beispielsweise im Fall von Phoenix Contact auch zu einem gegenseitigen Austausch führen. Durch diese Partnerschaft wurden und werden wir in Märkte eingeführt, in denen wir alleine kaum hätten Fuss fassen können. Gleichzeitig ist Phoenix Contact sehr interessiert, von uns zu erfahren, wo ihre Produkte noch Schwachstellen haben.

Sind Auslandsprojekte für Sie ein Thema?
Wir konnten bereits Projekte in Deutschland umsetzen und sind an weiteren Projekten im vorwiegend deutschsprachigen Ausland interessiert. Ich sehe auch Chancen für Einsätze darüber hinaus, für Projektabwicklungen im ferneren Ausland sind wir als Invisia aber derzeit noch etwas klein.

Auf Ihrer Website liest man: «Wir begeistern schon heute mit Lösungen für die Herausforderungen von morgen.» Wie gewährleisten Sie, dass Ihre Lösungen von heute nicht morgen schon veraltet sind?
Indem wir gut vorbereitet sind. Im Bereich der Ladestationen erfolgt die Kommunikation heute mehrheitlich mit Modbus, wobei es sich um eine etwas ältere Technologie handelt. Unsere Anlage, die mit Modbus kompatibel ist, ist jedoch auch tcp/ip-tauglich sowie Smart Grid Ready. Das heisst: Sollte es zu den Veränderungen kommen, von denen man heute realistischerweise ausgehen kann, können wir unser System in Zukunft mit relativ wenigen Handgriffen adaptieren.

Und was macht Sie zuversichtlich, dass Invisia auch übermorgen noch auf dem Markt ist?
Zuversichtlich macht mich, dass wir mit den Themen Energie- und Lademanagement heute in Bereichen führend tätig sind, in denen alle Indikatoren in den nächsten Jahren auf einen deutlich gesteigerten Bedarf hinweisen. Die Schweiz hat politisch beschlossen, dass in wenigen Jahrzehnten kein AKW mehr laufen soll. Nun müssen die technischen Weichen gestellt werden, um dies zu ermöglichen. Dass wir hierzu einen innovativen und bereits ausgereiften Beitrag anzubieten haben, macht mich wirklich sehr zuversichtlich.

Weitere Beiträge zum Thema

JETZT ANMELDEN
fachbau.ch Newsletter
fachbau.ch bietet Ihnen wertvolle Einblicke, aktuelle Trends und exklusive Informationen aus der Bau- und Immobilienbranche, um Sie stets auf dem neuesten Stand und gut informiert zu halten.
ANMELDEN
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link