Jakarta versinkt – Indonesien verlegt Hauptstadt

Im Sommer 2019 kündigte die indonesische Regierung an, die Hauptstadt Jakarta 2024 in die Provinz Ostkalimantan auf der Insel Borneo zu verlegen. Das indonesische Parlament beschloss im Januar 2022 den Umzug der Stadt. Die neue Hauptstadt soll den Namen Nusantara tragen und auf bisher bewaldeten staats eigenen Flächen der Regierungsbezirke Penajam Paser Utara und Kutai Kartanegara nahe den Städten Balikpapan und Samarinda entstehen. Ein Grund für die Verlegung ist das Absinken des Bodens in Jakarta von stellenweise bis zu 25 Zentimeter pro Jahr.

Die Megacity Jakarta versinkt und droht unterzugehen. Derzeit liegen schon 20 Prozent der Metropole unter dem Meeresspiegel. Das Bandung Institute of Technology prognostiziert, dass es bis 2050 zwischen 35 und 40 Prozent sein werden. Am schlimmsten ist die Situation in den Küstenvierteln in Jakartas Norden, wo die ärmsten Einwohner der Stadt wohnen.

Deshalb soll Indonesien eine neue Hauptstadt erhalten – fernab der langsam im Meer versinkenden Megametropole. Noch ist das Gebiet auf Borneo, wo das neue Verwaltungszentrum entstehen soll, vom Dschungel bedeckt.

Aber nachdem das Parlament Mitte Januar 2022 den Umzug genehmigt hat, kann der Startschuss für die Bauarbeiten in der Provinz Ostkalimantan fallen. Einen Namen hat die künftige Hauptstadt jetzt auch: Nusantara – ein altjavanisches Wort, das «äussere Inseln» bedeutet und im täglichen Sprachgebrauch als Synonym für den indonesischen Archipel verwendet wird. Schon 2024 sollen die ersten Behörden verlegt werden.

Die Gründe für die von Präsident Joko Widodo vorangetriebenen Pläne sind vielschichtig. Denn das dicht besiedelte Jakarta mit seinen 11 Millionen Einwohnern (und sogar mehr als 32 Millionen in seiner Metropolregion) ist nicht nur das Wirtschaftszentrum der aufstrebenden Regionalmacht Indonesien, sondern leidet gleichzeitig unter massiven Problemen.

Jakarta versinkt

Aber warum versinkt Jakarta? Da ist zum Beispiel der tägliche Verkehrskollaps. Auto fahrer verbringen in der Stadt durchschnittlich 22 Tage im Jahr im Stau, wie 2019 eine Studie ergab – das Jahr, in dem die Regierung die Umzugspläne erstmals öffentlich machte. Das ist der Luft nicht gerade zuträglich. Oft liegt ein Schleier aus giftigem Smog über Jakarta. Vor einigen Jahren haben Einwohner deshalb bereits die Regierung verklagt und schliesslich sogar recht bekommen.

Der wohl wichtigste Grund für den Umzug ist aber die Tatsache, dass gemäss verschiedenen Schätzungen bereits zwischen 20 und 40 Prozent von Jakarta unter dem Meeresspiegel liegen und die Stadt langsam im Wasser versinkt. Bis 2050 könnte das gesamte Gebiet von Nordjakarta überflutet sein. «Nur wenige Orte stehen vor derartigen Herausforderungen wie die Metropolregion Jakarta», heisst es auf der Website des Earth Observatory der Nasa. Zeit also, sich nach einem Standort mit weniger Risikopotenzial umzusehen, und zwar schnell, denn Nusantara soll Staatspräsident Joko Widodos Vermächtnis werden, bevor in zwei Jahren seine zweite und letzte Amtszeit endet.

So soll der geplante Präsidentenpalast in der neuen indonesischen Hauptstadt Nusantara auf der Insel Borneo dereinst aussehen (Instagram).
So soll der geplante Präsidentenpalast in der neuen indonesischen Hauptstadt Nusantara auf der Insel Borneo dereinst aussehen (Instagram).
Ein Projekt von Indonesiens Präsident Joko «Jokowi» Widodo. Im Dschungel von Borneo soll die neue Hauptstadt Indonesiens entstehen – möglichst ökologisch, mit autonomem öffen tlichem Verkehr (thejakarta post.com).
Ein Projekt von Indonesiens Präsident Joko «Jokowi» Widodo. Im Dschungel von Borneo soll die neue Hauptstadt Indonesiens entstehen – möglichst ökologisch, mit autonomem öffen tlichem Verkehr (thejakarta post.com).

«Sie haben nie mit uns gesprochen»

Aber nicht überall herrscht Enthusiasmus. Die Bewohner der Gegend, in der Nusantara entstehen soll, betrachten das Projekt mit Sorge und fürchten um ihr Farmland und ihren Lebensunterhalt. «Unsere Sorge ist, dass wir das Land verlieren, das wir seit Generationen bewirtschaften. Sie haben nie mit uns gesprochen», sagte Sibukdin, ein Stammesführer aus dem Bezirk Sepaku, wo Teile der künftigen Hauptstadt gebaut werden sollen. Um Nusantara aus der Erde zu stampfen, werden in der ersten Bauphase 6000 Hektar Dschungel zwischen den Städten Balikpapan und Samarinda weitgehend gerodet. Insgesamt soll sich die Stadt aber irgendwann über mehr als 250 000 Hektar erstrecken. Zu Beginn soll etwa eine Million Menschen in das neue Verwaltungszentrum ziehen, vor allem Beamte, Militärs und Sicherheitskräfte. Die Kosten für das imposante Unternehmen: mehr als 32 Milliarden Dollar (28 Milliarden Euro).

Indonesiens neue Hauptstadt: Grün, smart, modern

Allerdings plant die Regierung keineswegs eine Betonwüste, sondern eine ebenso grüne wie smarte City, in der sich die Probleme Jakartas nicht wiederholen. Auf den Strassen werden laut dem Konzept nur noch Elektrofahrzeuge erlaubt sein, und auch sonst wird Nusantara mit modernsten Technologien glänzen. Der Entwurf des Präsidentenpalastes stammt vom renommierten balinesischen Künstler I Nyoman Nuarta, der kürzlich das ebenso futuristische wie naturverbundene Design des Prunkbaus auf Instagram postete.

Zudem ist die Region laut den Behörden relativ sicher vor Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen. In Indonesien einen solchen Ort zu finden, ist eher eine Seltenheit, liegt das Land doch am Pazifischen Feuerring mit seinen vielen gefährlichen Vulkanen. Nusantara ist dabei nicht die erste künstlich kreierte Hauptstadt – man denke an Canberra in Australien, Abuja in Nigeria oder Naypyidaw in Myanmar.

Gerechter in die Zukunft?

Die Regierung hofft, mit dem Projekt zahlreiche Investoren anzulocken und künftig überdies auf Borneo und nicht nur auf der Hauptinsel Java das Wirtschaftswachstum Indonesiens anzukurbeln. Die Entwicklung des grössten Inselstaates der Welt mit 270 Millionen Einwohnern solle so gerechter und ausgewogener werden, sagte Rawanda Wandy Tuturoong aus dem Stab des Präsidenten.

Umweltschützer sehen das Vorhaben hingegen kritisch. «Die Regierung hätte ein Referendum dazu durchführen sollen», sagte Pradarma Rupang, Aktivist der Gruppe Mining Action Network aus Ostkalimantan. «Sie treiben das Projekt mit einer Eile voran, als ob unsere Nation auseinanderfallen würde, wenn wir die Hauptstadt nicht verlegten», monierte er. Aber um Nusantara mit Strom zu versorgen, würden – zumindest zu Beginn – fossile Brennstoffe gebraucht, vor allem Kohle. «Das wird zur Eröffnung riesiger Minen führen», sagte er warnend.

«Jokowi will Geschichte schreiben»

Der politische Analyst Hendry Satrio von der Paramadina University in Jakarta ist überzeugt, dass Präsident Joko Widodo vor allem persönliche Ambitionen treiben. «Jokowi (der Spitzname des Regierungschefs) will Geschichte schreiben», sagte er. «Er hofft, dass das sein bleibendes Erbe wird.» Dabei brauchten viele indonesische Städte im Zuge der Coronapandemie Hilfe, sagte Satrio. «In der derzeitigen wirtschaftlichen Krise eine neue Stadt zu bauen, sollte die letzte unserer Prioritäten sein.»

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