Keine Angst vor der Männerdomäne

Frauen, die bauen, sind eine absolute Ausnahme. Beim Townvillage in Winterthur ist die Planung fest in Frauenhand und die Männer finden, das klappt wunderbar. Was unterscheidet dieses Projekt von anderen? Und was sagen Frauen, die sich in die Männer­domäne Bau vorwagen?

Frauenpower auf dem Bau ist heute selten anzutreffen. Bei Marti Gesamtleistungen arbeiten 22 Frauen, acht als Bau- oder Projektleiterinnen.

 

Um halb vier nachmittags muss Susan Matscheroth los, ihre Tochter aus der Krippe abholen. Die 35-jährige arbeitet zu 80 Prozent und ist stellvertretende Leiterin der Zürcher Niederlassung von Marti Gesamtleistungen. Aktuell leitet sie ein 36-Millionen-Projekt, das Townvillage in Winterthur, das Marti Gesamt­leistungen als Total­unternehmer baut. Geplant und umgesetzt wird das Projekt in grossen Teilen von Frauen. Eine zentrale Rolle spielt Bauleiter Adem Ilgaz. Doch davon später.

Das Interesse am Bau steigt – langsam
Frauen auf dem Bau sind Exotinnen. Matthias Engel, Mediensprecher beim Schweizerischen Baumeister­verband SBV, schätzt, «der Frauenanteil liegt im tiefen einstelligen Prozentbereich». Genau erhoben wird die Zahl nicht. Immerhin konstatiert er: «Die Zahl wächst. Langsam.» Und bei Bau-Schnuppertagen in den Maurer­lehrhallen des SBV oder an interaktiven Ständen an Gewerbe­ausstellungen sei das Interesse von Mädchen an einer Karriere auf dem Bau erfreulich gross. «Ebenso wichtig ist es, dass wir auch den oftmals skeptischen Eltern aufzeigen, wie vielfältig die Karriere­möglichkeiten auf dem Bau sind – gerade auch für Frauen.»

Fragt man Susan Matscheroth, wie sie auf den Bau gekommen ist, überrascht nicht, dass sie familiär vorbelastet ist. Schon ihr Vater war auf dem Bau. «Darum hatte ich keine Vorurteile», sagt sie. Sie studierte Architektur. Die Kreativität des Berufs habe eine Rolle gespielt. Doch das erledigte sich nach kurzer Zeit in einem Architekturbüro, wo sie wochenlang Treppenhäuser zeichnen musste. «Es war frustrierend. Ich brauche mehr Action und Leute um mich herum.» So kam der Wechsel in die Ausführung. «Für die Kreativität sind jetzt andere verantwortlich.»

Die Planung ist in Frauenhand
Beim Rundgang auf der Baustelle in Oberwinterthur treffen wir eine Zimmerfrau, sie ist allein unter Männern. Anders sieht es im Planungsteam aus. Hier arbeiten sechs Frauen und vier Männer zusammen. «Es gab Bemerkungen, ob das gut gehen kann», sagt Susan Matscheroth. Wer dieses Klischee bedient, wird von ihr direkt angesprochen. Dann heisse es: «Nein, nein, es war nur ein Spruch.» Sie versteht das. Eine Gruppe diskutierender Frauen mit den weissen Helmen der Bauleitung auf dem Kopf fällt auf: «Mittlerweile ist das aber normal. Die Leute haben sich daran gewöhnt.» Auch für Adem Ilgaz (42), Matscheroths Kollegen in der Bauleitung, war es neu, dass so viele Frauen auf der Baustelle unterwegs sind. In zehn Jahren hat er erst einmal mit einer Architektin zusammengearbeitet. Sonst waren es immer Männer. «Ich habe die Unternehmen hier von Anfang an sensibilisiert», sagt er. Offenbar mit Erfolg.

«Wenn ich auf der Baustelle unterwegs bin, habe ich nicht das Gefühl, dass man mich weniger ernst nimmt, weil ich eine Frau bin», sagt Barbara Grüter (32), Bauingenieurin bei Meichtry & Widmer Bauingenieure. Marina Heer (28), die Sanitär­planerin von Hunziker & Urban Haustechnik, ergänzt: «Es ist mir noch nie passiert, dass jemand unhöflich wurde oder gar ausgerastet ist.» Aber: Es stimme, der Umgang auf der Baustelle sei direkt, «man redet nicht um den heissen Brei herum».

Wer jung ist, wird getestet, egal ob Mann oder Frau
«Mit dem Umgangston müssen auch die Männer klarkommen», sagt Franziska Rebsamen (31), die Heizungs-, Lüftungs- und Kälteplanerin von Müller.Bucher Ingenieure, «man darf das nicht persönlich nehmen». Keine der Frauen sagt, sie sei aufgrund ihres Geschlechts jemals respektlos behandelt worden oder habe gar sexistische Bemerkungen hinnehmen müssen. Und Brandschutz­planerin Lisa Reichlin (38) von Balzer Ingenieure präzisiert: «Es gibt Leute, die respektlos sind. Das ist aber eine Frage des Charakters und hat mit mir als Frau nichts zu tun.»

Schwieriger wird es, wenn Frauen Männern Anweisungen geben müssen. Architektin Nathalie Schmid (28) von den eins Gruppe Architekten sagt, man müsse wie überall erst zeigen, was man könne. «Wer so jung ist wie wir, der wird getestet. Egal ob Mann oder Frau.»

Auch Bauleiter Adem Ilgaz hat Widerstand erlebt und erlebt ihn teilweise immer noch. Einige Männer wollen Anweisungen einer Frau partout nicht akzeptieren. «Das ist aber ein kulturelles Problem und hat eher mit der Nationalität zu tun.» Er bleibt dann sachlich und argumentiert: «Ohne die Anweisungen der Planerinnen könnt ihr ja gar nicht arbeiten.» Das wird dann verstanden. Und notfalls steht er bei Diskussionen neben den Planerinnen, das wirkt.

Der Ton macht die Zusammenarbeit
Nach drei Jahren mit den Frauen auf der Baustelle bilanziert Adem Ilgaz: «Hier sind die Kommunikation und das Teamworkbesser.» Wenn er als Bauleiter eine Frage an die Planerinnen habe – «ich vergesse manchmal auch etwas» – erhalte er in kürzester Zeit Antwort. Bei Männern höre er dann manchmal: «Das habe ich dir doch vor drei Wochen schon erklärt.» Architektin Nathalie Schmid sagt dazu: «Ich glaube nicht, dass die gute Kommunikation nur an uns Frauen liegt. Verständnis ist grundsätzlich wichtig und man sollte auch mal einen Kompromiss eingehen können.» Das sieht Bauingenieurin Barbara Grüter ähnlich: «Das Wichtigste ist, dass alle am selben Strick ziehen und nicht gegeneinander arbeiten.» Als Projektleiterin ist Susan Matscheroth für die Zusammen­arbeit im Team zuständig. «Ich sitze oben am Tisch, gebe den Ton vor und die Art, wie man Probleme anspricht und anpackt.»

Frauen sind tough, aber mit einem Lächeln
Donald Vogt ist der Geschäfts­führer von Marti Gesamtleistungen. Er hat Susan Matscheroth angestellt und die junge Mutter zur stellver­tretenden Niederlassungs­leiterin befördert. Bei Marti Gesamtleistungen arbeiten 22 Frauen, acht als Bau- oder Projektleiterinnen. «Dass wir so viele Frauen auch in der Bau- und Projektleitung beschäftigen, ist Zufall.»

Auf den kleinen Unterschied angesprochen, sagt er: «Frauen sind so tough wie Männer, aber mit einem Lächeln.» Wenn er eine Stelle ausschreibe, hätten alle die gleiche Chance. Bei den Bewerbungs­gesprächen stelle er aber einen Unterschied fest: «Die Frauen sind oft zielstrebiger. Sie sagen klar, was sie wollen.»

Mehr Teilzeitstellen auch für Männer
Teilzeit sei in jedem Bewerbungsgespräch ein Thema, sagt er. «Die Jungen wollen Zeit haben für die Familie oder ein Hobby, die Karriere ist nicht mehr so wichtig wie früher.» Und auch die Rollenmodelle ändern sich. «Bei uns arbeiten zwei Frauen Vollzeit, bei denen sich ihre Männer um die Familie kümmern.» Er schränkt aber auch ein. Projektverantwortung im Rahmen eines 50- oder 60-Prozent-Pensums zu übernehmen geht nicht. «Da muss man schon hochprozentig unterwegs sein.» Das wüssten die Frauen, die Verantwortung übernehmen wollen.

Wenn Donald Vogt die besten Leute beschäftigen will, kann er die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt nicht ausblenden. Das hat nichts mit Frauen­förderung zu tun, sondern mit Pragmatismus.

Teilzeitarbeit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird auch in der Baubranche zum Thema. Eine Studie von Infra Suisse belegt: «Die grosse Mehrheit der befragten Firmen bestätigt einen Fachkräftemangel.» Man hat aber erkannt, dass «die grössten Potenziale bei der Familien­freundlichkeit und der Arbeitszeit­flexibilität liegen». Gut ein Drittel der Betriebe plant demnach, mehr Teilzeitstellen anzubieten.

Verschiedene Perspektiven sind bereichernd
Ihr mache es Freude, «dass wir so viele Frauen sind», sagt Susan Matscheroth über ihr Team. Verschiedene Generationen, Ausbildungen, Kulturen und Hintergründe «haben verschiedene Perspektiven zur Folge, und das ist in jedem Fall eine Bereicherung. Es wäre schön, wenn mehr Frauen bauen.» Es brauche mehr Unternehmerinnen, Baumeisterinnen: «Frauen, die Fassaden bauen oder die Heizung.» Das wünscht sich auch Marina Heer, und sie sagt: «Wenn eine Frau findet, der Bau ist spannend, aber da sind so viele Männer, sollte sie davor keine Angst haben.»


Projektleiterin Susan Matscheroth erklärt das Vorgehen.
«Frauen sind so tough wie Männer, aber mit einem Lächeln», sagt Donald Vogt, Geschäftsführer von Marti Gesamtleistungen.

Marti Gesamtleistungen
Marti Gesamtleistungen ist der Total- und Generalunternehmer der Marti-Gruppe. Die Firma mit Niederlassungen in Bern, Basel, Zürich und Luzern baut aktuell den neuen Sitz des Bundesamts für Informatik und Telekommunikation in Zollikofen BE und das Zentrum Cereneo und den Neubau Campus Dorf in Hertenstein. Marti Gesamtleistungen ist unter anderem auf die Planung und den Bau mit Building Information Modeling, Arealentwicklungen und das Bauen im Bestand spezialisiert. Neue Wege ist man beim TU-Projekt Schlossbergparking Thun gegangen, das von einer Marti-eigenen Arge realisiert wurde.

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