Tübbinge beim Tunnel-ausbau in schwieriger Geologie

Gleich in den drei neuen Tunnels – Belchen der A2, Bözberg und Eppen-berg der SBB in unmittelbarer Nachbarschaft – ist für die Erstsicherung nach dem Vortrieb mit Tunnelbohrmaschinen (TBM) das System Tübbing-ringausbau mit Betonelementen angewendet worden.

Tübbinge beim Tunnel- ausbau in schwieriger Geologie

Vorfabrizierte Betontübbinge (oben und ganz rechts) sind im Sanierungstunnel Belchen der A2 von 3,2 km Länge zur Erstsicherung des Gewölbes nach dem Vortrieb mittels Tunnelbohrmaschine von 13,97 m Durchmesser eingesetzt worden.
Vorfabrizierte Betontübbinge (oben und ganz rechts) sind im Sanierungstunnel Belchen der A2 von 3,2 km Länge zur Erstsicherung des Gewölbes nach dem Vortrieb mittels Tunnelbohrmaschine von 13,97 m Durchmesser eingesetzt worden.

Sowohl der 3,2 km lange dritte Auto-bahntunnel durch den Belchen als auch der neue Doppelspur-Bahntunnel Böz-berg von 2,7 km Länge führen durch das geologisch und hydrologisch schwierige Grenzgebiet zwischen Tafel-und Falten-jura und liegen damit zum grossen Teil in gering bis stark quellfähigen Gesteinen. Das erforderte einen durchgehend zwei-schaligen Ausbau mit einem Ring aus Tübbingen und einer Innenschale aus Ortbeton. Und auch im 3,1 km langen Eppenberg-Bahntunnel zwischen Olten und Aarau, der in den geologischen For-mationen Lockergestein und teilweise tieferreichenden Verwitterungszonen der Effingerschichten liegt, erfolgte die Ausbruchsicherung mit 2 m breiten Tüb-bingen, die im Schutz des TBM-Schildes ringweise eingebaut worden sind.

Die Anwendung von Tübbingen geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Dabei sind für die wasserdichte Ausklei-dung von Schächten im englischen Berg-bau und von Tunnels für die U-Bahn in London gusseiserne Tübbinge eingesetzt worden. Später wurde das Verfahren im deutschen Bergbau angewendet. Vor etwa 100 Jahren haben im Tunnelbau der Alpenländer Betontübbinge Eingang zur Gewölbeversteifung bei schwierigen geo-logischen Verhältnissen gefunden.

Gewölbeversteifung mit Tübbingen

Bei der Auskleidung im modernen Tun-nelbau mit vorfabrizierten Tübbingen müssen die Tübbingfugen die Beanspru-chungen im Bau-und Endzustand über-tragen können. In den Längsfugen wird die Kontaktfläche in der Regel reduziert; sie sind daher insbesondere im druckhaf-ten oder quellfähigen Gebirge oft mass-gebend für die Festlegung der Stärke der Tübbinge. Die Ringfugen müssen bei geschlossenen Schildvortrieben die kon-zentrierten Lasten der Vortriebspressen der TBM aufnehmen, was Spaltzugkräfte und – infolge von Toleranzen – weitere Zugbeanspruchungen verursacht. Sie sind daher massgebend für die Festle-gung der Tübbingbewehrung, insbeson-dere zur Rissbreitenbegrenzung. Dazu läuft das Projekt «Tragverhalten und Be-messungen von Tübbingfugen» der For-schungsdatenbank des Bundes, Aramis.

Tübbinge beim Tunnel- ausbau in schwieriger Geologie

Der Sanierungstunnel Belchen der A2 – im Bild (Mitte) das Nordportal in Eptingen – geht diesen Herbst in Richtung Luzern in Betrieb. Anschliessend wird die bestehende Röhre nach Basel saniert und die mittlere Röhre als Flucht- und Rettungstunnel umgebaut.
Der Sanierungstunnel Belchen der A2 – im Bild (Mitte) das Nordportal in Eptingen – geht diesen Herbst in Richtung Luzern in Betrieb. Anschliessend wird die bestehende Röhre nach Basel saniert und die mittlere Röhre als Flucht-und Rettungstunnel umgebaut.

Meilensteine im Bauablauf des Belchentunnels

Beim Sanierungstunnel Belchen war im Projekt des Bundesamts für Strassen (Astra) aus Gründen der Logistik der Bauablauf in fünf Arbeitsschritte geglie-dert, die nahezu parallel verliefen. Zuerst erfolgten Vortrieb und Ausbruch mit der TBM sowie das Versetzen der Tübbinge und die Verfüllung des Ringspaltes zwi-schen Gebirge und Auskleidung. Die von der Firma Herrenknecht gebaute Schild-maschine war dabei mit einem Ausbruch-durchmesser von fast 14 m und einer Länge von 75 m die grösste, die in der Schweiz je zum Einsatz kam.

Im Anschluss an diese Arbeiten sind die Montage der Tübbinge sowie der Ausbruch des Sickerschlitzes erfolgt. In der gleichen Phase geschah die geo-logische Vorerkundung für den weite-ren Vortrieb. Im dritten Bauabschnitt wurde die Sohle abgedichtet sowie das Sohlgewölbe armiert und betoniert. An-schliessend wurden die Querungen und zwei Untertagezentralen ausgebrochen.

Im letzten Arbeitsgang wurde das Ge-wölbe abgedichtet und betoniert. Eine der grössten Herausforderungen dieses Projekts bestand im frühzeitigen Ausbau der Tunnelröhre. Quellhafte Gesteine wie der Gipskeuper machten es notwendig, einen raschen Ringschluss zu realisieren. Daher galt die Vorgabe, dass vier Monate nach der Auffahrung des Tunnels bereits der Rohbau des Gewölbes ausgeführt sein musste, um unkontrollierte Sohl-hebungen zu verhindern. Dies stellte insbesondere erhöhte Anforderungen an die Baustellenlogistik, heisst es von der Arge Marti Belchen mit den Firmen Marti Tunnelbau AG, Marti Solothurn AG und Marti Basel AG. Am 9. Februar 2016 be-gann das Auffahren des Sanierungstun-nels mit dem Andrehen am Südportal des Belchentunnels. Vorgängig war bereits im November 2015 der rund 350 Tonnen schwere Bohrkopf mit seinen 78 Rollen-disken montiert worden. Die Rohbau-arbeiten am Haupttunnel konnten in der kurzen Zeitspanne von knapp zwei Jah-ren abgewickelt werden. Dabei wurden nach der Devise «Alles aus einer Hand» nicht nur sämtliche Bauleistungen wie Voreinschnitt, Spezialtiefbau, Brücken-bau, Hochbau, sondern auch Strassen-bau, Tunnelbau und Abdichtungen durch die Arge Marti Belchen ausgeführt.

Bilanz des TBM-Vortriebs

Im Sanierungstunnel Belchen der A2 er-fordert die komplexe und geotechnisch anspruchsvolle Felsbeschaffenheit ein massives Innengewölbe mit einer kurzen Ringschlusszeit. Deshalb ist hinter der TBM gleichzeitig der komplette Innen-ausbau realisiert worden, bestehend aus Tübbingring und Gewölbe. Dieser unge-wohnte Bauablauf stellte höchste Anfor-derungen an alle Beteiligten, heisst es in einem Bericht anlässlich des Swiss Tunnel Congress 2018 von Sergio Massignani von der Marti Tunnelbau AG. Die Vortriebsstre-cke mit einer Länge von 3176 m hatte 20 geologische Formationen zu durchqueren, die zum Teil wiederholt vorkamen, was insgesamt 48 geologische Schichtwech-sel ergab. Der erste Ringschluss bzw. die fertig erstellte Ausbruchsicherung war in den Quellabschnitten nach maximal einem Monat zum Vortrieb einzubauen, der zweite Ringschluss bzw. das fertige Innen-gewölbe nach maximal vier Monaten. Die meisterzielte Vortriebsleistung der TBM erreichte 14 m/AT. Diese wurde viel-fach mit Tagesfortschritten zwischen 16 und 20 m übertroffen, sogar Spitzenleis-tungen von 26 m im Gipskeuper konnten erreicht werden, wie Marti Tunnelbau bilanziert. Der Wochenrekord lag bei 90 m. Damit konnten die Erwartungen an die Leistung der Maschine unter den ge-gebenen geologischen Voraussetzungen übertroffen werden. Nach 17 Monaten Vortriebsdauer konnte im Juni 2017 der Durchbruch gefeiert werden. In der Schlussbilanz von Marti Tunnelbau wurde eine Bruttobohrleistung von 6,5 m und eine Nettobohrleistung von 11,4 m/AT erreicht. Damit konnte der Rohbau des 3,1 km langen Tunnels in nur knapp zwei Jahren abgewickelt werden.

Beim Doppelspurtunnel Bözberg ist der Ausbau zweischalig mit einem Ring aus Tübbingen und einer lnnenschale aus Ortbeton.
Beim Doppelspurtunnel Bözberg ist der Ausbau zweischalig mit einem Ring aus Tübbingen und einer lnnenschale aus Ortbeton.

Anforderungen und Design der Tübbinge

Für die Erstsicherung des TBM-Vortriebs im Belchen-Sanierungstunnel wurden uni-konische, verschraubbare Tübbingringe verbaut. Diese setzen sich aus sechs Einzelelementen und einem Schlussstein zusammen und weisen eine Breite von 2 m und eine Stärke von 35 cm auf. Die Tübbingverschraubung diente lediglich als Montagesicherung während des Ring-aufbaus und der Ringspaltverfüllung. Sie wurde in der Regel im Bereich des letzten Nachläufers wieder gelöst und erneut verwendet. Die gleichmässige Bettung des Tübbingrings konnte nur durch eine vollständige Ringspaltverpressung ge-währleistet bzw. das gewünschte Wider-standsprinzip im quellhaften Gebirge sofort erzielt und so die gefürchtete Längsläufigkeit von Bergwasser mit unterbunden werden, heisst es im Bericht von Marti. Dazu haben die Anforderun-gen an eine sulfatresistente Vermörte-lung erstmals in der Schweiz zum Einsatz eines Zwei-Komponenten-Mörtels ge-führt.

Die für die verbauten 1589 Ringe benötig-ten 11 123 Tübbinge sind im Produktions-werk von Marti in Balsthal hergestellt, gelagert und just in time auf die Baustelle geliefert worden. Bedingt durch die Geo-logie wurden drei Ringtypen angefertigt:

– für die Kalk-und Mergelabschnitte der Typ leicht mit einem Bewehrungsgehalt von 102kg/m2,

– für den Opalinuston der Typ mittel mit 133 kg/m2 und

– schwer für den Gipskeuper mit einem Bewehrungsgehalt von 229 kg/m2.

Alle Ringtypen sind zudem zur Reduktion der Stabbewehrung und zur Verbesse-rung des Kantenschutzes mit 30 kg/m3 Stahlfasern bewehrt. Die schweren Ringe wurden zusätzlich zum Schutz vor sulfat-haltigem Bergwasser mit dem Anstrich-mittel Sikaggard versiegelt. Die Tübbing-ringe sind mit sogenannten Multi Service Vehicles (MSV) bis zur TBM transportiert worden und hatten komplett ein Gewicht von 120 t. Mit einem Tübbingring auf dem Segment-Feeder und einem weiteren auf dem Transportgerät blieb der TBM-Vor-trieb für etwa eineinhalb Stunden logis-tisch unabhängig.

Spezielle Transportwagen vor rtenl Südpcrtal für die in Deutschland hergestellten Tübbinge, die statisch und betontechnologisch höchste Anforderungen zu erfüllen haben.
Spezielle Transportwagen vor rtenl Südpcrtal für die in Deutschland hergestellten Tübbinge, die statisch und betontechnologisch höchste Anforderungen zu erfüllen haben.

Fertigungsstrasse für Belchentun-nel-Tübbinge

Einblicke in den aktuellen Stand der Automatisierung sowie Innovationen im Bereich Tübbingproduktion speziell für grosse Durchmesser gibt es im Werk Balsthal. In dieser von Marti zusammen mit Herrenknecht Formwork aufgebauten Produktionsanlage werden einige Routi-netätigkeiten der Tübbingherstellung von Robotern abgewickelt. Dabei werden der aktuelle Stand und die zukünftigen Mög-lichkeiten der Automatisierung in diesem Bereich aufgezeigt. Als weiterer Aspekt im Zusammenhang mit Industrie 4.0 werden durch das modulare Tübbing-produktions-und Logistikmanagement-system (SDS) der VMT GmbH sämtliche Schlüsselprozesse der Tübbingfertigung überwacht, gesteuert und dokumentiert. Weitere Innovationen bezüglich Dichtun-gen und Verschraubungen für Tübbinge stammen von Cordes und von Optimas.

Forschungsprojekt Tübbingfugen

Bei der Bemessung der Tübbingfugen nach den heutigen Normen wird zwar eine Querbewehrung zur Aufnahme der Spaltzugkräfte gefordert; die günstige Umschnürungswirkung einer Querbe-wehrung oder von Fasern unmittelbar im Fugenbereich bleibt dagegen unberück-sichtigt. Die in Versuchen beobachtete starke Festigkeitserhöhung des Betons in den Längsfugen kann daher nur zu einem kleinen Teil ausgenützt werden. Die Er-mittlung der Bewehrung im Bereich der Ringfugen ist andererseits mit grossen Unsicherheiten verbunden, insbesondere für mit Fasern oder gemischt bewehrte Elemente. Aus diesen Gründen ist die Bemessung der Tübbingfugen heute oft übermässig konservativ, wird im Projekt «Tragverhalten und Bemessungen von Tübbingfugen» der Forschungsdaten-bank Aramis festgestellt. Dabei werden Grossversuche und numerische Ver-gleichsrechnungen durchgeführt und mechanisch konsistente Modelle validiert und weiterentwickelt. Darauf basierend werden Empfehlungen für die sichere und wirtschaftliche Bemessung von Tüb-bingfugen formuliert. ■

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