Empa-Forscher finden Ursache für brüchige Betonwände
Empa-Forschende haben die Ursache des Beton-Skandals in der irischen Grafschaft Donegal gefunden. Dort sind Betonwände von tausenden von Häusern mit Rissen durchgezogen, die teure Reparaturen oder gar einen Abbruch nötig machen.
Lange dachte man, der Grund für die Betonschäden in der irischen Grafschaft Donegal liege an einem zu hohen Glimmergehalt im Beton. Dank der Untersuchungen der Empa können schwere Bauschäden künftig vermieden werden, da der wahre Grund – das Mineral Pyrrhotin – nun identifiziert ist.

«Unsere Häuser bröckeln!», heisst es auf einem Plakat bei einer Demonstration in Dublin. «100 Prozent Wiedergutmachung», steht auf T-Shirts von Teilnehmenden – zu sehen auf einem Foto der Online-Ausgabe der «Irish Times» vom 15. November 2022. Seit Jahren sorgt instabiler Beton in der Grafschaft Donegal für massive Schäden an vielen Häusern, mit denen sich seit April 2016 auch eine Task Force der Regierung befasst. Seit Jahren gibt es Demonstrationen und heftige Debatten im Parlament. Die Kosten für Schäden und Entschädigungen dürften sich nach heutigen Schätzungen auf rund drei Milliarden Euro belaufen.
Gängige Vermutung widerlegt
Die Schlagzeilen zu diesem Fall rücken nun auch Empa-Forschende ins Rampenlicht. Der Grund: Auf einer Fachkonferenz zu diesem heiklen Thema im irischen Letterkenny am 15. November 2022 hat Andreas Leemann, Leiter der Forschungsgruppe «Betontechnologie», einen Vortrag gehalten, der für grosse Augen sorgte: Er schilderte Resultate von Analysen zum instabilen Beton, die zusammen mit dem Umweltforscher Paul Dunlop von der «Ulster University» und weiteren Fachleuten durchgeführt wurden. In seinem Referat widersprach er einer bis dato weit verbreiteten Vermutung: Ein hoher Anteil des Minerals Glimmer, so die bisherige These, mache den Baustoff, wenn seine Poren mit Wasser gefüllt sind, anfällig für Frostschäden.
Doch nein; die Ursache sehen die Schweizer Fachleute in einem anderen Bestandteil, den die Fachleute in Irland zuvor nicht im Visier hatten: Detaillierte Untersuchungen von Betonproben von vier betroffenen Häusern zeigten, dass ein Mineral namens Pyrrhotin aus Eisen und Schwefel in grossen Mengen im Baumaterial vorhanden ist und offenbar eine verhängnisvolle Kaskade auslöst.

Wenn Pyrrhotin im Zementstein des Betons durch vorhandenen Sauerstoff oxidiert wird, setzt dies Schwefel frei, der wiederum zur Bildung von Ettringit führt. Dieses Mineral entsteht zwar ohnehin bei der Erhärtung von Zement. Doch die zusätzliche Ettringit-Bildung verursacht eine Ausdehnung, die schliesslich zu Rissen im Beton führt. Wird weiterer Schwefel freigesetzt, bildet sich das Mineral Thaumasit. Dieser Prozess reduziert die Festigkeit des Betons, indem wichtige Bestandteile wie Calciumsilikathydrate auflöst werden, und kann letztlich zu einem Zerfall des Baustoffs führen.
Um die Schadensmechanismen im Inneren dieses speziellen Betons aufzuklären und nachzuweisen, war freilich Detektivarbeit des Empa-Teams nötig. Diese umfasste herkömmliche Materialtests, aufwendige Rasterelektronenmikroskop- und Röntgenuntersuchungen sowie thermodynamischen Modellierungen. Zusätzlich waren Recherchen in meteorologischen Daten notwendig, um der gängigen Theorie von Frostschäden durch zu hohen Glimmergehalt auf den Zahn zu fühlen.

Gegen diese These hatte schon der Augenschein vor Ort gesprochen. Typische Risse durch Kälteeinfluss verlaufen parallel zu den Wänden, während sie hier nur senkrecht in die Wände hinein verliefen, oft vom Boden bis hinauf zum Dach. In manchen Fällen hatten sie sich sogar von oben, wo der Kälteeinfluss geringer ist, nach unten fortgesetzt.
Risse auch in den Sommermonaten
Wie sich zeigte, sprachen auch die meteorologischen Auszeichnungen klar gegen die Ursache Frost. Wetterphasen von der nötigen Kälte und Dauer, die derartige Schäden hätten auslösen können, kamen im atlantisch geprägten Klima der Region zu selten vor, nämlich nur zwei Mal: ab Mitte Dezember 2009 und ab November 2010. Zudem zeigten sich erste Schäden bereits vor diesen Ereignissen, und bei den betroffenen Häusern ist auch in Sommermonaten eine Aufweitung der Risse festzustellen. Sie können auch Innenwände betreffen, die vor den Wettereinflüssen geschützt sind. Fazit: Der Frost spielt keine oder allenfalls nur eine Nebenrolle bei den Betonschäden.
Doch warum wurde die Erklärung mit dem Pyrrhotin-Gehalt und seinen Folgen zuvor übersehen? Diese Möglichkeit wird laut Andreas Leemann in der betreffenden irischen Bauvorschrift IS 465 schlicht nicht berücksichtigt. Dagegen ist in der entsprechenden EU-Norm EN 12620 vorgeschrieben, dass ein allfälliger Pyrrhotin-Gehalt in den Baustoffen beim Schwefelgehalt berücksichtigt werden muss. «Wir haben den Schwefelgehalt der Gesteinskörnung des Betons in Proben von vier Häusern analysiert», sagte Leemann gegenüber der «Irish Times», «die Werte überschritten den zulässigen EU-Grenzwert um den Faktor 4 bis 7.»
Obwohl die Empa-Fachleute Proben aus nur vier Häusern im Detail untersucht haben, liegt es nahe, dass sich die Resultate verallgemeinern lassen, denn Daten von irischen Ingenieuren aus fast 100 betroffenen Häusern zeigen, dass auch sie beachtliche Mengen an Pyrrhotin enthalten.
Weitere Informationen
www.empa.ch